Schriftbilder

Die große späte Werkgruppe der in Ölfarbe auf Leinwand gemalten Schriftbilder, gestaltete Kazem Heydari ausgehend von selbstverfassten Texten und Gedichten – denn Schreiben war ihm ein ständiger Lebensbegleiter, und er führte es hier mit der Malerei zusammen. Vielfach beschrieb er die Leinwände mit sich wiederholenden Sätzen in Druckbuchstaben, die Farbschichten bilden dichte Netze aus Schrift, Gewebe aus Gedanken und Worten in komplexen Farbakkorden. Zwar gibt es seit dem Mittelalter eine herausragende persische Kalligrafie-Tradition, mit der der Künstler vertraut war, doch dass Kazem Heydari in deutscher Sprache mit lateinischen Schriftzeichen schreibt, weist auf die thematische Aktualität der Schriftbilder, wie auch darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit seiner persönliche Lebenssituation in die Arbeiten einfloss.

Einige Satzteile bleiben lesbar, die meisten gehen im Muster der Überschreibungen auf, weichen in den tiefen Raum zurück und geben insbesondere den großformatigen Arbeiten dieser Phase auch eine zeitliche Dimension. Themen wie Vergänglichkeit und Verlust, aber auch Erinnerung, Gedächtnis, Ewigkeit und Unendlichkeit sind damit angedeutet. Aus mittlerer oder größerer Distanz betrachtet fallen rhythmische Strukturen ins Auge und der Tiefeneindruck verstärkt sich. Tritt man erneut näher an die Leinwand heran, werden mittels eines vexierbildhaften Kippeffektes die entzifferbaren Details wieder zum Bildthema.

Der repetitive Entstehungsprozess dieser Werkreihe dürfte mit meditativer Versunkenheit einhergegangen sein. Einige Bilder sind im Pinselduktus diszipliniert, andere gestischer und im Ausdruck unruhiger, aufgerührter – aber die inhaltlich verständlichen Botschaften stehen nicht in direktem Zusammenhang mit den Farbstimmungen der Bilder, die zwischen vielfarbiger Heiterkeit und tiefem Dunkel, ja Düsternis variieren.

Schrift als Abstraktum zum Gegenstand eines Kunstwerks zu machen bedeutet, der realistischen Darstellung eine grundsätzliche Absage zu erteilen und das Exemplarische zu suchen. Schrift betont auch die Linie als gestalterisches Grundelement. Kazem Heydari befasste sich in seinen Werken nicht nur systematisch mit Farbschattierungen oder Varianten von Flächigkeit und Räumlichkeit, sondern er erforschte so einfallsreich wie sorgfältig auch Erscheinungsformen von Linien. Über Graphit- und Tuschezeichnungen, die scharfen Kanten aneinandergesetzter Flächen, erhabene Linien aus pigmentiertem Silikon auf Leinwand bis hin zu den Schriftbildern, die Buchstaben so lange miteinander verschlingen, bis deren präzise definierte Bedeutung in ein – ästhetisiertes – Großes und Ganzes aufgeht. Ähnlich dem Umstand, dass ein Gedanke in ein Gefühl resultiert und umgekehrt unsere Gefühlslage uns Gedanken machen kann.

EIN EROTISCHER AKT, Öl auf Leinwand, 50 x 70 cm, 2016
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ER HAT DEN WURF GEWAGT, Öl auf Leinwand, 140 x 100 cm, 2016
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VERSCHLOSSEN VOR UNGEDULD, Öl auf Leinwand, 140 x 300 cm, 2017
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EINGEZUCKERTE FRUCHT, Öl auf Leinwand, 50 x 70 cm, 2016
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DIE FARBE MUSS SPUREN AUF DER LEINWAND HINTERLASSEN, Öl auf Leinwand, 100 x 70 cm, 2017
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O.T., Öl auf Leinwand, 120 x 200 cm, 2017
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ICH HABE KEIN GRAB, Öl auf Leinwand, 130 x 220 cm, 2018
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