Einführung in das Werk

Einführung in das Werk und Würdigung des Künstlers

Kazem Heydari wurde 1967 in Teheran/Iran geboren und starb im Sommer 2020 in Köln/Deutschland, wo er seit 1988 lebte und arbeitete. Die in diesem Katalog versammelten Werke sind über einen Zeitraum von gut 15 Jahren in seiner deutschen Heimat entstanden.

Sein Tod unterbricht einen kontinuierlichen Schaffensprozess, der immer wieder überzeugende Wendungen nahm und formal wie inhaltlich interessante Entwicklungen abbildete. Mit Kazem Heydari verstummt eine besonders kenntnisreiche, reflektierte, charakteristische künstlerische Stimme im zeitgenössischen interkulturellen Dialog.

Der Katalog bildet exemplarisch verschiedene Phasen seines Oeuvres ab und zeigt ihn als Bildenden Künstler, dessen geistige Wurzeln ebenso in Literatur und Lyrik, wie in islamischer und westlicher Philosophie lagen. Kazem Heydari war außerordentlich belesen und blieb in seinem theoretischen Wissensdurst zugleich ganz sinnlich dem Leben und den Menschen zugewandt. Er beschrieb seine Art, als Künstler in der Welt zu stehen, einmal mit folgendem Zitat des deutschen Philosophen Martin Heidegger: „Interesse heißt unter und zwischen den Sachen zu sein, mitten in einer Sache stehen und bei ihr bleiben.“ (in ‚Was heißt Denken?’, 1950/51)

Kazem Heydaris künstlerisches Werk entwickelte sich entlang einer beständigen, ernsthaften Suche nach einem möglichst überindividuellen, vorurteilsfreien Standpunkt, mit dem Ziel, sich die größte mögliche Klarheit über die Welt und sich selbst zu verschaffen. Dabei spielten kulturelle und biographische Aspekte natürlich eine Rolle, aber sie definierten ihn als Künstler nicht.

Seine innere Grundhaltung blieb kritisch, selbstreflektiert, neugierig und frei genug, um in seinem Schaffen von aktuellen Ereignissen, die ihn im Leben persönlich verschiedentlich hart betrafen, Abstand nehmen zu können. Diese Fähigkeit verlieh seiner Kunst grundsätzliche Tiefe und Eigenständigkeit – seine Werke treffen eine Aussage über die Welt und sie wahren zu ihrer Aussage zugleich eine gewisse, neutrale Distanz. Die damit verknüpfte Methode der Erkenntnisgewinnung ist mit dem Satz: ‚Die Wahrheit suchen und zugleich verwerfen.‘ treffend beschrieben. 

Künstler und Dichter waren für Kazem Heydari ‚weise Narren‘, nichts muss ihnen heilig sein, alles – schmerzliche Wahrheiten und abgründige Scherze – dürfen sie vorbehaltlos und frei aussprechen. Er verfolgte diese Wahrheitssuche mit visuellen Mitteln, indem er malerische Möglichkeiten zur Erforschung ihrer Wirkung und Bedeutung durchdeklinierte, dabei überwiegend gegenständlich malte, jedoch jeden Naturalismus akribisch vermied.

In verschiedenen Werkgruppen verwandte Kazem Heydari beispielsweise ganz und gar unterschiedliche Farbpaletten, die er bewusst konzipierte und so schlüssig wie konsequent beibehielt. Er wechselte von kräftig-farbigen, in den Nuancen jedoch sehr fein und harmonisch ausgewogenen Tönen zu weiß abgemischten Pastellfarben – in dieser Zeit öffnen Farbflächen Räume für Szenen des privaten wie öffentlichen Alltags, stellen dabei aber gezielt die natürliche Farbperspektive in Frage. Dann differenzieren sich die klaren, statisch wirkenden und oft eine Architektur andeutenden Flächen zu dynamischeren, teils kristallin anmutenden, kleinteiligeren Strukturen in kühlen, satt-leuchtenden Farben, die unnatürlich zugespitzt wirken und um die Vorherrschaft im Bild zu konkurrieren scheinen. Schließlich verdunkelt sich seine Palette, mächtiges Schwarz, Petrol, Violett und Braun scheinen das Licht geradezu in das Bild zu absorbieren. 

Parallel hierzu entstanden großformatige Landschaftsdarstellungen in hellen, sanften, harmonischen Naturtönen. Der zuvor flächige, leicht glänzende Farbauftrag verliert seine nahezu perfekte Gleichmäßigkeit, die äußerst sorgfältig individuelle Pinselspuren vermied und je nach Deckkraft eines Pigmentes einen bis zu achtschichtigen Farbauftrag erforderte. Im nun matten Bildgrund bleiben Werkspuren erkennbar – in Anbetracht der vorherigen, mit großer Sorgfalt hergestellten Glätte des Farbauftrags mag die Veränderung ästhetisch befremden, achtlos wirken, sogar weniger kunstvoll. Tatsächlich war aber das Interesse des Künstlers an der spezifischen Wirkung, dem gestalterischen Potenzial dieser Manier erwacht. Zu gefallen war nicht sein erstes Anliegen – er untersuchte visuelle Ausdrucksmöglichkeiten mit hoher künstlerischer Intuition und konzeptueller Systematik zugleich.

Farbflächen deuten bei Kazem Heydari zwar Räume an, diese blieben jedoch schattenlos und so ist oft nicht eindeutig auszumachen, welche Bildteile im Vorder- bzw. Hintergrund sind: die Farbflächen oder die charakteristischen Binnenzeichnungen in Grafit, die weiß auf den grundierten Leinwänden stehen blieben? 

Kazem Heydari ist ein großartiger Beobachter und Zeichner. Seine früheren Arbeiten zelebrieren die Darstellung der menschlichen Figur, deren Körperausdruck er im Detail wunderbar trifft und einfängt. Dann wendet er sich – fast wie ein enttäuschter Liebhaber – von allen menschlichen Identifikationsangeboten ab und zeichnet Tiere und Pflanzen, sogar Mineralien, in seine konstruktivistisch anmutenden Farbkompositionen. Die Naturformen werden zum durchbrechenden Ornament, das die perfekten Linien und jede mögliche Bildsymmetrie auflöst.

In den letzten Arbeiten dieses über Jahrzehnte sich entwickelnden und wandelnden Werkkomplexes setzt er realistisch gezeichnete Gegenstände des täglichen Lebens – wie Lampen oder Musikinstrumente – surreal in Szene. Die mit leichtem Graphitstrich ausgeführten Formen mit wenig Binnenstrukturen bleiben als stilbildende Elemente weiß belassen. Kaum deutet eines der Gemälde eine Erzählung an – und wenn doch, bleibt sie vieldeutig. 

Seine letzte figurative Arbeit zeigt schablonenhafte Halbbögen, Teile einer Ellipse, in Weiß und Schwarz, die auf einer eigenen, distanzierenden Bildebene wie ein Kommentar des Künstlers zwischen dem Betrachter und dem eigentlichen Bildmotiv schweben (Abb. S.xx). Diese verfremdenden Elemente finden sich dann auch in äußerst flüssig, in regelmäßiger künstlerischer Praxis mit Feder und Tusche auf Papier gebrachten Zeichnungen der letzten Jahre wieder. Sie scheinen hier räumliche Ebenen und Bezüge farbig akzentuiert anzudeuten, lassen aber keine eindeutige Interpretation zu, man kann auch sagen: erfordern sie nicht. Sie bleiben entschieden-unentschieden, funktional zwischen ornamentalem Detail und künstlerischem Gedankenfragment – wie eine Rätselaufgabe an die Betrachter.

Kazem Heydari begab sich stilistisch immer wieder bewusst und erkennbar in die Nachbarschaft zu Künstlern des Surrealismus und Dadaismus wie Marcel Duchamp und Francis Picabia, mit deren Schriften und Werken er sich eingehend befasst hatte. Er erteilte einer überwiegend auf subjektiven Gefühlen beruhenden künstlerischen Annäherung an die Welt eine Absage und begab sich stattdessen auf die Suche nach allgemeingültigen Erkenntnissen und einem überindividuellen Ausdruck. Dennoch traf er gestalterische Entscheidungen intuitiv, die Farbfelder auf seinen Bildern sind nicht geometrisch errechnet oder formelhaft konstruiert, das Verwerfen und Finden des Bildes geschah im Tun und aus seiner höchst subtilen Wahrnehmung von Farbschattierungen, Formen und Räumen heraus. Er ging außerordentlich sorgfältig zu Werke, vertiefte sich manchmal wochenlang vollständig in seine Arbeit im Atelier und erhob einen unnachgiebig hohen Qualitätsanspruch an sich selbst. Dennoch erstarrte er nicht in dieser Anstrengung, sondern blieb aufnahmefähig und flexibel, arbeitete also konzentriert im besten Sinne.

Die große späte Werkgruppe der in Ölfarbe auf Leinwand gemalten Schriftbilder, gestaltete Kazem Heydari ausgehend von selbstverfassten Texten und Gedichten – denn Schreiben war ihm ein ständiger Lebensbegleiter, und er führte es hier mit der Malerei zusammen. Vielfach beschrieb er die Leinwände mit sich wiederholenden Sätzen in Druckbuchstaben, die Farbschichten bilden dichte Netze aus Schrift, Gewebe aus Gedanken und Worten in komplexen Farbakkorden. 

Zwar gibt es seit dem Mittelalter eine herausragende persische Kalligrafie-Tradition, mit der der Künstler vertraut war, doch dass Kazem Heydari in deutscher Sprache mit lateinischen Schriftzeichen schreibt, weist auf die thematische Aktualität der Schriftbilder, wie auch darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit seiner persönliche Lebenssituation in die Arbeiten einfloss. Einige Satzteile bleiben lesbar, die meisten gehen im Muster der Überschreibungen auf, weichen in den tiefen Raum zurück und geben insbesondere den großformatigen Arbeiten dieser Phase auch eine zeitliche Dimension. Themen wie Vergänglichkeit und Verlust, aber auch Erinnerung, Gedächtnis, Ewigkeit und Unendlichkeit sind damit angedeutet. Aus mittlerer oder größerer Distanz betrachtet fallen rhythmische Strukturen ins Auge und der Tiefeneindruck verstärkt sich. Tritt man erneut näher an die Leinwand heran, werden mittels eines vexierbildhaften Kippeffektes die entzifferbaren Details wieder zum Bildthema. 

Der repetitive Entstehungsprozess dieser Werkreihe dürfte mit meditativer Versunkenheit einhergegangen sein. Einige Bilder sind im Pinselduktus diszipliniert, andere gestischer und im Ausdruck unruhiger, aufgerührter – aber die inhaltlich verständlichen Botschaften stehen nicht in direktem Zusammenhang mit den Farbstimmungen der Bilder, die zwischen vielfarbiger Heiterkeit und tiefem Dunkel, ja Düsternis variieren.

Schrift als Abstraktum zum Gegenstand eines Kunstwerks zu machen bedeutet, der realistischen Darstellung eine grundsätzliche Absage zu erteilen und das Exemplarische zu suchen. Schrift betont auch die Linie als gestalterisches Grundelement. Kazem Heydari befasste sich in seinen Werken nicht nur systematisch mit Farbschattierungen oder Varianten von Flächigkeit und Räumlichkeit, sondern er erforschte so einfallsreich wie sorgfältig auch Erscheinungsformen von Linien. 

Über Graphit- und Tuschezeichnungen, die scharfen Kanten aneinandergesetzter Flächen, erhabene Linien aus pigmentiertem Silikon auf Leinwand bis hin zu den Schriftbildern, die Buchstaben so lange miteinander verschlingen, bis deren präzise definierte Bedeutung in ein – ästhetisiertes – Großes und Ganzes aufgeht. Ähnlich dem Umstand, dass ein Gedanke in ein Gefühl resultiert und umgekehrt unsere Gefühlslage uns Gedanken machen kann.

Mit diesem Katalog wird das Gesamtwerk Kazem Heydaris zwar nicht vollständig, aber in exemplarischer Breite dokumentiert und sowohl seiner Familie als auch Freunden, Sammlern und einer interessierten Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich gemacht.

Möge den Kunstwerken noch viel Aufmerksamkeit und ihrem Schöpfer angemessene Anerkennung zuteilwerden! Ich bin froh, dass ich ihn als Kunst-Agentin seit 2012 begleiten durfte und werde ihn persönlich und künstlerisch in ehrender Erinnerung behalten.

Autorin: Sabine Klement (Kunstagentin/-vermittlerin), Köln, Dezember 2020